Fisch mit Fahrrad

Praktische Forschung für alle

Paul Bomke ist Bioniker und gehört der Arbeitsgruppe Bionischer Leichtbau am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung an. Vorbild für den Aufbau der Rahmenrohre sind die Strukturen winzig kleine Kieselalgen wie auf dem Poster an der Wand. (Foto: Wolfgang Heuer)
Vorbild Natur: An der Schnittstelle zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung haben Bremerhavener Meeresbiologen und Techniker ein ultraleichtes Falt-Fahrrad entwickelt.

Jeden Morgen wuchtet Paul Bomke sein Fahrrad über zwei Stockwerke bis vor die Bürotür. Sicher ist sicher. Da denkt man aber schon mal über eine leichtere Alternative nach. Denn der 29-Jährige beschäftigt sich auch beruflich mit effizienteren Strukturen für technische Bauteile – nicht in einem Ingenieurbüro, sondern am Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI). Dort sucht die Arbeitsgruppe „Bionischer Leichtbau“ praktische Anwendungen für Erkenntnisse aus der Biologie. Musterbeispiel ist ein Faltrad, für das Erkenntnisse der AWI-Meeresforscher über winzig kleine, aber hochfeste Kieselalgen nützlich sind: „Unser Rad zeigt, wie Grundlagenforschung für industrielle Anwendungen genutzt werden kann“, erläutert Bomke.

Spätestens seit Leonardo da Vinci versuchen Entwickler das Vorbild Natur für technische Ideen zu nutzen. In den 1960er Jahren entstand dafür der Begriff Bionik als Kombination aus Biologie und Technik. Die Entwicklung so genannter 3D-Drucker öffnet jetzt neue Wege. „Durch die neuen additiven Fertigungsverfahren bekommt die Bionik jetzt richtig Schub“, ist Bomke überzeugt, „denn jetzt können kompliziertere Strukturen angefertigt werden, wie sie in der Natur häufig vorkommen.“

Für Biologen und Techniker
Über die Zusammenhänge zwischen Biologie und Technik weiß Bomke bestens Bescheid. Er hat an der Hochschule Bremen Bionik studiert – ein Fach, das nur an drei weiteren Hochschulen in Deutschland gelehrt wird. „Zu den Inhalten zählen sowohl biologische Kenntnisse als auch ingenieurtechnisches Grundlagenwissen“, sagt Bomke. Entsprechend ist die Bionik in Bremen in der Fakultät „Natur und Technik“ angesiedelt, an der klassischer Maschinenbau und „Technische und angewandte Biologie“ gelehrt wird. „Mich interessieren beide Seiten“, sagt Bomke. Bereits an der Schule waren Biologie und Physik seine Leistungsfächer. Beides hat in der Bionik großen Einfluss: „Einerseits nutzen wir wissenschaftliche Methoden, um biologische Vorgänge zu verstehen. Andererseits wenden wir technische Prinzipien und Regeln an, um die Erkenntnisse in Konstruktionen umzuwandeln“, erläutert Bomke.

Bionik-Student und AWI-Mitarbeiter Leonard Balz präsentiert das neue AWI Bionic Bike, entwickelt von der AWI-Arbeitsgruppe Leichtbau. Mehr Infos zum Herstellungsverfahren unter: www.elise.de (Foto: Alfred-Wegener-Institut/Paul Bombe)
Bionik-Student und AWI-Mitarbeiter Leonard Balz präsentiert das neue AWI Bionic Bike, entwickelt von der AWI-Arbeitsgruppe Leichtbau.
Mehr Infos zum Herstellungsverfahren unter: www.elise.de (Foto: Alfred-Wegener-Institut/Paul Bombe)

Für die Rahmenrohre des Faltrades standen mikroskopisch kleine Kieselalgen Pate. „Um sich gegen Fressfeinde zu schützen, haben sie im Laufe der Evolution eine hochfeste, aber extrem leichte Struktur aus Silikat entwickelt“, erläutert Bomke. Zunächst bemühten sich die Bionik-Experten gemeinsam mit Meeresbiologen anhand wissenschaftlicher Methoden, das Konstruktionsprinzip der Kieselalgen zu verstehen. Aus dem dabei gewonnenen Wissen entwickelten Bomke und seine Kollegen die ideale Geometrie für das Faltrad mit variablen Querschnittsformen und Wanddicken und erreichten so eine erhebliche Gewichtsersparnis. An hoch belasteten Stellen wie dem Tretlagerbereich gewinnt der aus Aluminiumpulver im Laserstrahl-Schmelzverfahren – landläufig 3D-Drucker genannt – hergestellte Rahmen zusätzliche Stabilität durch feine Gitterstrukturen im Inneren der Rohre. „Über das ‚Additive Manufacturing‘ können wir Formen schaffen, die mit dem klassischen Walzen, Biegen und Ziehen von Rohren nicht zu erreichen sind“, sagt Bomke.

Vorzeigeprojekt für „Elise“
Das Leichtbau-Faltrad „Bionic Bike“ ist das aktuelle Vorzeigeobjekt des Projektes „Elise“ (Evolutionary Light Structure Engineering) am AWI. Bereits vor gut zehn Jahren öffnete sich das Institut der Idee, das in der Natur gewonnene Wissen für konkrete Anwendungen nutzbar zu machen. Paul Bomke gehört seit 2012 der Abteilung an. Die unmittelbare Nähe zu den Grundlagenforschern war einer der Hauptgründe für ihn, nach dem Studium am AWI und nicht irgendwo in einer Bionik-Abteilung der Industrie anzufangen: „Hier ist es besonders reizvoll, dass man frei denken kann, ohne sofort eine konkrete Anwendung im Blick zu haben.“

In einem Unternehmen müsste das Team Forschungsarbeiten in Auftrag geben, Experten suchen – am AWI geht Bomke ein Haus weiter und trifft sich direkt mit den Grundlagenforschern. Das kommt ihm persönlich sehr gelegen, weil er so den direkten Kontakt zu den Naturwissenschaften hält, die ihn nach wie vor interessieren. Und für die technische Seite seines Jobs „bekommt man im Gespräch mit den Wissenschaftlern manche Idee, auf die man von alleine so vielleicht nicht gekommen wäre“. Es sei denn, man wuchtet jeden Tag sein schweres Fahrrad durchs Treppenhaus.

Autor: Wolfgang Heumer

Mehr unter: www.awi.de/forschung/besondere-gruppen/bionischer-leichtbau.html und www.elise.de

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