Der Herr der Weine von der Weser

Nur in Bremen gibt es eine solche "Schatzkammer"

Für die Entscheidung, welcher Wein ins Sortiment des Bremer Ratskellers kommt, ordert Kellermeister Karl-Josef Krötz in Coronazeiten Proben und zieht sich dann "alle zwei, drei Wochen" in seinen Probenraum zurück (Foto: © WFB/Carmen Jaspersen)

Der Gang die Treppe hinunter in den Bremer Ratskeller gleicht einem Abstieg in eine andere Zeit: Lagerräume mit gewölbten Decken, ein Labyrinth von Gängen. Kühle. Fast schlafwandlerisch geht Karl-Josef Krötz durch die Räume sechs Meter unter der Erde, vorbei an Paletten und Weinkisten, durch den gerade neu geschaffenen Veranstaltungsraum hindurch bis in einen großen Lagerraum, in dem sich Holzfässer aneinanderreihen. Rund 80 Mal im Jahr führt der Ratskellermeister auch Besuchergruppen hierher, an diesen „magischen“ Ort. „Ich würde das gern mehr machen“, sagt der 63-Jährige, „aber die Zeit lässt es nicht zu.“

Das Sortiment bildet die deutsche Weinlandschaft ab
Krötz fühlt sich sichtlich wohl in der Rolle des Botschafters – für den Wein und auch für Bremen. Der Ratskeller, den er seit 1989 führt, zählt zu den ältesten Weinkellern Deutschlands: Seit 1405 wird unterm Rathaus, dem Weltkulturerbe, Wein verkauft. Hier lagern alte Raritäten – darunter der älteste Fasswein Deutschlands aus dem Jahr 1653 – ebenso wie Neuerwerbungen, die vom Kellermeister für gut befunden und ins Sortiment aufgenommen wurden. Der Bremer Ratskeller ist im Weinhandel eine renommierte Adresse, das weltweit größte Sortiment deutscher Weine soll er beherbergen. „Winzer wollen unbedingt auf der Karte des Ratskellers stehen“, sagt Krötz. Jedes Jahr aufs Neue beginnt für ihn die Suche nach guten Weinen: „Es gibt keine Verträge.“ Die deutsche Weinlandschaft abzubilden, das ist sein Anspruch: Alle 13 Anbaugebiete sind hier vertreten. Kann ihn heute ein Wein noch überraschen? „Es gibt Aha-Erlebnisse“, sagt der Weinkenner. „Aber dafür müssen Sie viel verkosten.“

Bei der Weinverkostung wird alles wieder ausgespuckt
Das ist im Jahr der Corona-Pandemie ungleich schwieriger: Die großen Verkostungen wurden abgesagt. „Ich muss sehen, dass wir die Topweine trotzdem nach Bremen holen.“ Krötz ordert also Proben und zieht sich dann „alle zwei, drei Wochen“ in seinen Probenraum zurück. Meistens am Wochenende, wenn Ruhe ist. „Es ist eine grundsätzliche Entscheidung, da brauchen Sie alle sieben Sinne.“ Es ist ein Raum ohne Fenster, weiß gestrichene Wände, ein kleiner Schreibtisch, ein roter Ohrensessel und ringsum eine Ablage, auf der Weinflaschen unterschiedlichster Art stehen: So sieht der Ort der Entscheidung aus. Krötz zieht dort seinen blauen Küferkittel über und den Spuckeimer zu sich heran. Wenn er den Wein im bauchigen Glas mit Tempo schwenkt, weicht das Lachen einem konzentrierten Blick. Dann ein tiefer Atemzug, Schlürfen, Schmecken, Ausspucken.

Ratskellermeister Karl-Josef Krötz in der „Schatzkammer“ mit dem Wein, der zur Hochzeit von Charles und Diana getrunken wurde. In der Schatzkammer des Bremer Ratskellers werden die Regale mit blauem Licht angestrahlt. Hier lagern die größten Weine, mit denen der deutsche Wein berühmt geworden ist (Foto © WFB/Carmen Jaspersen)

Verkauft werden eine halbe Million Flaschen im Jahr
Wie sich das Verhältnis der Deutschen zum Wein verändert hat, hat Krötz ein Berufsleben lang miterlebt. Als er als Sohn einer Winzerfamilie von der Mosel in Rheinland-Pfalz Weinbau studierte, waren noch die süßen Weine en vogue. „Trockener Wein war lange Zeit Wein für Zuckerkranke“, erzählt Krötz, der in den über drei Jahrzehnten in Bremen zum Hanseaten geworden ist. Erst in den 1970er-Jahren änderte sich der Geschmack der Deutschen langsam.

Am jeweils aktuellen Geschmack orientiert sich das Sortiment des Ratskellers, aber Krötz ist bis heute die „Tiefe“ in der Bremer Auswahl wichtig. Das Außergewöhnliche muss bleiben, das Moderne soll trotzdem Einzug halten. „Die Institution lebt vom Namen, auf der anderen Seite muss man sehen, dass man schwarze Zahlen schreibt. Es ist ein Spagat.“ Verkauft werde mittlerweile im Keller wie auch online „knapp eine halbe Million Flaschen im Jahr“, sagt Krötz. Weitere 50.000 Flaschen werden in der hauseigenen Gastronomie geleert.

In die Schatzkammer kommen nur der Ratskeller- und der Bürgermeister
Wein steht für Genuss: Das ist Krötz‘ Credo – und das vermittelt er bei jeder Führung. Den Bundespräsidenten führte er durch die Kellergewölbe, auch Rudi Carrell, Uwe Seeler und Vicco von Bülow alias „Loriot“, der zum Dank als Weinvertreter Blümel seinen Weinproben-Sketch zum Besten gab.

Eingang zur „Schatzkammer“: Der Zutritt ist nur zwei Personen gestattet – dem Ratskellermeister und dem Bürgermeister. Hier lagern Monumente der Weinkultur (Foto © WFB/Carmen Jaspersen)

Einer der Höhepunkte der Führungen ist immer die Schatzkammer, in der die alten Flaschenweine lagern. Ein mit Ornamenten verziertes Tor verschließt den Zugang, drinnen werden die Regale mit blauem Licht angestrahlt. Nur der Ratskellermeister und der Bürgermeister haben Zutritt. „Die Schatzkammer beherbergt die größten Weine, mit denen der deutsche Wein berühmt geworden ist. Es sind Monumente der Weinkultur. Damit hat man hier gehandelt.“ Der heute älteste ist der Rüdesheimer Apostelwein von 1727 – käuflich und „noch trinkbar“, so Krötz. Für eine Flasche wurden schon 6.000 Euro gezahlt, verkauft wurde er bereits in die ganze Welt. Einmal die Woche ist Krötz hier unten. „Der Verkauf dieser Weine ist Chefsache.“ Der 19. Bremer Kellermeister sorgt auch dafür, dass es nicht zum Ausverkauf kommt: Eine letzte Flasche wird von jedem Jahrgang zurückbehalten.

„Einen Millimeter auf der Zeitleiste mitbestimmt“
2022 soll für ihn Schluss sein, sagt Krötz. Dann ist er 65. Bis dahin wird es kein Ausruhen geben. Gerade wurde umgebaut, in Abstimmung mit dem Denkmalpfleger. Für ihn sei das Wichtigste, „dass das Erbe, das man hinterlässt, weitergeführt wird. Diese Institution hat mir zu viel gegeben.“ Sich selbst sieht er als jemanden, der „auf der langen Zeitleiste einen Millimeter mitbestimmt hat“. Dazu zählt zweifelsohne auch, dass es seit über 15 Jahren einen Bremer Weinberg an der Mosel gibt. Am „Erdener Treppchen“ wird der „Bremer Senatswein“ angebaut.

Der Herr aus Bremen kommt aus Neef
Nördlich davon liegt sein Heimatdorf Neef. Dort habe man früher vom „Herrn aus Bremen“ erzählt, der zur Weinlese kam und gleich mit Gold bezahlte, berichtet Krötz. Heute reist er selbst einmal im Jahr zur Lese des Senatsweins. Sicher wird er auch seinem Heimatort einen Besuch abstatten. Dann ist er der „Herr aus Bremen“.

Text: Astrid Labbert Fotos: Carmen Jaspersen